Dem Zauber der Hattinger Altstadt erlegen
Mein Verlag, der Paashaas Verlag in Hattingen, hatte im letzten Monat auf dem KAM einen Bücher- und Infostand. Ich habe an allen vier Tagen meine Verlegerin vertreten. Es waren echt vier ganz besondere Tage für mich. Nicht nur, dass ich einige meiner Autorenkolleginnen und -kollegen besser kennengelernt habe, nein, viele nette Menschen haben uns am Stand besucht und auch unsere Werke gut gekauft. Manche haben sogar Einzellesungen von den anwesenden Autoren bekommen. Dazu die speziell für den KAM liebevoll zusammengestellten Menüangebote der Wirte – es war wirklich für jeden Geschmack etwas im Angebot - also ich werde sicher Wiederholungstäter und freue mich schon auf’s nächste Jahr. Dazu ist noch etwas ganz Besonderes passiert, ich habe mich noch ein wenig mehr in meine Heimat verliebt. Mein Kopf ist gerade noch so voller Eindrücke der Geschehnisse, dass ich es jetzt einfach einmal aufschreibe.
Ich bin in Hattingen geboren und aufgewachsen und im Oktober wohne ich schon 40 Jahre in Welper. Ich bin also durch und durch Hattingerin und hätte gedacht, fast alles zu kennen, was in diesem, unserem Städtchen so passiert. Gerne gehe ich dort mit meinen Freundinnen bummeln oder mal frühstücken. Besonders in den Sommermonaten, wenn man dann morgens in der Altstadt draußen sitzt und die vorbeieilenden Touristen beobachten kann, macht es besonders großen Spaß, herrlich! Die Anzahl toller Cafes und Restaurants in Hattingen ist echt enorm, manchmal hat man leicht schmerzhaft die Qual der Wahl.
Dazu das große Kulturangebot in und um Hattingen herum. Ich denke da z. B. nur an Lars Friedrich und das Bügeleisenhaus, dazu den abwechslungsreichen Ferienspaß für die Kinder. Selbst in unserer Stadtbibliothek kann man verschiedene, kleine Events besuchen. Ich habe da echt eine Menge interessanter Künstler gesehen und gehört. Auch die Lesungen in der Boutique Modela sind immer gut besucht. Ich selber durfte dort auch schon lesen und meinen Gedichtband vorstellen. Die Stadtrundfahrt im Doppelstock-Cabriobus ist nicht nur für Hattinger ein Erlebnis, man sollte sich diese zwei Stunden wirklich einmal gönnen. Besonders begehrt sind die Plätze oben im Bus. Wann sieht man seine Heimat mal aus solch einer Perspektive?
Aber komischerweise geschah alles, was ich in Hattingen treibe oder getrieben habe, immer am Tage oder nach dem Prinzip hin und weg, z. B. nach einer Lesung. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, in den Abendstunden mal in die Altstadt zu fahren. Viele meiner Freunde tun das regelmäßig und sind immer voll begeistert. Wenn man mich bis dato gefragt hatte, ob ich mich anschließen mag, habe ich das immer verneint. Ich mag es nicht, mich in Kneipen aufzuhalten, da gehöre ich in meinem Alter nicht mehr hin, das ist etwas für junge Leute. So oder ähnlich waren meine Ausreden. Aber ich muss gestehen, man lernt immer wieder neue Dinge an Hattingen kennen und lieben. Am Samstagabend bin ich nach Stand-Schluss noch auf dem KAM hängengeblieben. Zum Glück, wie ich heute sagen kann. Wir haben mit mehreren Leuten draußen gesessen und plötzlich habe ich sie gespürt, diese Magie, die Hattingen bei Nacht ausstrahlt. Ich kann es mir bis heute nicht erklären, aber sie war plötzlich da und hielt mich umfangen. Wie saßen auf dem Kirchplatz mit Blick auf St-Georgs-Kirche. Der Glockenklang, der uns schon den ganzen Tag begleitet hatte, wurde zu dieser besinnlichen Stunde von uns noch viel intensiver wahrgenommen. Dieser Klang hallt scheinbar an den Häusern, die die Kirche in ihre Mitte genommen haben, leicht zurück. Der Ton hält sich irgendwie etwas länger. Ich glaube, jeder Hattinger sollte mal um 23 Uhr auf dem Kirchplatz sitzen und diesem Klang lauschen.
Also mir ging der Glockenschlag durch den Bauch ins Herz. Sofort kamen die Erinnerungen an meine Kindheit hoch. In der Emsche aufgewachsen, hörte man den Schlag der Glocke jeden Tag. Besonders nachts, wenn man als Kind nicht schlafen konnte, war der Klang so nah und laut, aber niemals störend.
Wir sind dann - nach KAM-Schluss - noch ein bisschen weitergezogen. Nach Hause wollte in dieser Nacht keiner. Wenn man schon mal da ist, kann man ja auch mal schauen, war meine Devise. Durch den Gang im alten Rathaus erreichten wir den Untermarkt. Dieser Platz, auf dem es an einem Wochentag immer sehr wuselt und unruhig ist, wirkte jetzt auf einmal ganz anders. Er war irgendwie in warmes Licht getaucht komisch, wie sich ein Ort bei Dunkelheit verändern kann. Die Tische und Stühle, die die meisten Gastronomen draußen vor ihren Gaststätten stehen hatten, waren gut besetzt. Eine bunt gemischte Gruppe von Menschen hatte sich auf die einzelnen Gaststätten verteilt. Es wurde gegessen, getrunken und viel gelacht. Mit verschiedenen Lichtquellen, mal ein Windlicht im Glas, mal in einer weißen Tüte, mal nur so, kennzeichnen die Wirte ihre Tische. Der positive Nebeneffekt, man erkennt sofort, welcher Tisch zu welcher Gaststätte gehört. Dass das Flackern auch noch schön aussieht und es gemütlich macht, brauche ich sicher nicht zu erwähnen. Wir bekamen auch noch einen guten Platz und kurz danach von einem gut gelaunten Kellner etwas Leckeres zu trinken. Und ich, die Altstadtverweigerin, kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Die Atmosphäre war so entspannt und friedlich. Gegröle, Geschrei oder hämmernde Musik, all das, was ich so befürchtet hatte, fand nicht statt. Die warme Luft und der leichte Wind taten ihr übriges dazu, man fühlte sich wie in einem südlichen Urlaubsland. Das einzige, was fehlte, war das Rauschen des Meeres und der Geschmack von Salz auf den Lippen.
Inzwischen bin ich nun schon mehrfach abends in die Altstadt gefahren. Besonders gerne halte ich mich im Kirchviertel auf. Ich glaube, es gibt wenig Orte in Hattingen, die bei Nacht so schön sind. Besonders dann, wenn aus den anliegenden Gaststätten der eine oder andere leckere, fremde Duft die Nase kitzelt, bekommt man wieder dieses Urlaubsgefühl und spürt dieses Multikulti-Feeling. Man soll gar nicht glauben, was unser Städtchen alles zu bieten hat. Manchmal muss man das Gute einfach geschehen lassen, dann hat man sogar ein bisschen Urlaub vor der Tür. Mein Fazit: Hattingen braucht sich hinter anderen Städten im Umfeld nicht zu verstecken, ganz im Gegenteil. Wer es individuell und etwas kleiner mag, ist hier bei uns in Hattingen gut aufgehoben.
Petra E. Schumann